Im Herkunftsland verfolgt – In Deutschland gleichgestellt
Im Herkunftsland verfolgt – In Deutschland gleichgestellt
Am 10. Dezember 2020, am Tag der Menschenrechte, entschied der nordrhein-westfälische Landtag einstimmig über die Verleihung der Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechts an die Alevitische Gemeinde Deutschland. Dies ist ein großer Erfolg für die gesamte alevitische Community, aber auch für die Alevit_innen in der Türkei.
Um die gesamte Tragweite zu erkennen, ist ein kurzer Exkurs erforderlich. Schon seit dem Osmanischen Reich und dessen Nachfolgestaat, der Türkischen Republik, ist die Geschichte der Alevit_innen mit Verfolgung, Unterdrückung, Assimilierung und Massakrierung geprägt. Die Massaker von Qoçgirî, Dêsım, Malatya, Maraş, Çorum, Sivas und Gazi sind einige davon, um
die verheerendsten zu benennen.
Seit dem Anwerbeabkommen 1961 kamen Alevit_innen nach Deutschland. Zu Beginn vielleicht mit dem Gedanken, hier genug Geld zu sparen und dann wieder in die Heimat zurückzukehren. Außerdem suchten hier im Laufe der Zeit viele Schutz und erhielten Asyl. Doch Anschläge wie in Mölln, Solingen und Hanau oder die NSU Mordserie zeigten, dass auch hier der erhoffte Schutz vor Bedrohung und Gewalt nicht gegeben war. Dennoch ist Deutschland zu unserer neuen Heimat geworden.
Die Massaker an Alevit_innen in Malatya, Maraş, Çorum, Sivas und Gazi, aber auch der Militärputsch 1980 waren ausschlaggebend dafür, dass sich die Alevit_innen in Deutschland mobilisierten. So entstand 1989 der alevitische Dachverband, der heute als Alevitische Gemeinde Deutschland (AABF) bekannt ist. Auch wenn sich Alevit_innen erst in den 80er Jahren verstärkt in Vereinen bzw. in Cem Häusern organisiert haben, war das Alevitentum bereits in Deutschland angekommen, doch es wurde im Verborgenen und unter Geheimhaltung gelebt. Die Schicksalsschläge der Alevit_innen sorgten für tiefe Trauer. Doch der Mut, die eigene Identität zu leben und sie nicht zu verbergen wurde größer. Dieser Mut und unermüdliche Einsatz von Alevit_innen führte nun zur Erlangung des Körperschaftsstatus. Für Alevit_innen ist es nicht nur ein Status, der erlangt wurde, sondern eine Gleichstellung des unterdrückten alevitischen Glaubens.
Wir gratulieren der Alevitischen Gemeinde Deutschland und hoffen, dass die AABF durch diese Entscheidung auch in allen anderen Bundesländern als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt wird. Denn so können Cem Häuser als Glaubensstätten anerkannt bzw. als solche errichtet werden und andere Einrichtungen in alevitischer Trägerschaft entstehen.
Für die Türkei ist die Verleihung des Körperschaftsstatus an die Alevitische Gemeinde in der Diaspora ein Armutszeugnis. Denn Cem Häuser sind dort mit Schließungen konfrontiert und werden weiterhin nicht als Glaubensstätten anerkannt, alevitische Schulkinder werden im sunnitischen Zwangsreligionsunterricht assimiliert und religiöse Selbstbestimmung wird systematisch verwehrt.
Neben vielen Errungenschaften der Alevitischen Gemeinde Deutschland, ist die aktuelle eine ganz besondere, die Alevit_innen viel Hoffnung schenkt.
Humanistische Grüße
BDAJ Bundesvorstand